Die Vielfalt des Lebens in all ihren Facetten hat der Evolutionsbiologe und Vordenker Edward O. Wilson als unsere wertvollste, doch zugleich am wenigsten geschätzte Ressource bezeichnet. "Jedes Land", so schreibt er 1992, "besitzt drei Formen des Reichtums, materiellen, kulturellen und biologischen. Die ersten beiden sind uns wohlvertraut, da sie die Grundlage unserer Alltagslebens bilden. Der Kern des Biodiversitätsproblems besteht darin, dass dem biologischen Reichtum sehr viel weniger Beachtung geschenkt wird. [...] Artenreichtum ist eine potentielle Quelle für gigantischen materiellen Reichtum in Form von Nahrung, Arzneimitteln und sonstige Annehmlichkeiten. Auch Fauna und Flora gehören zum nationalen Erbe eines Landes, [...] und haben daher genauso wie die Besonderheiten der Sprache und der Kultur die Wertschätzung einer Nation verdient."
Wilson, E.O. (1992) Der Wert der Vielfalt, München.
Das Wort Biodiversität ist eine Kurzform der beiden Wortbestandteile "biologische Diversität" (= Vielfalt). Im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on biological diversity = CBD) ist sie definiert als "die Vielfalt von lebenden Organismen jeder Herkunft, u.a. aus terrestrischen, marinen und anderen aquatischen Ökosystemen sowie aus den ökologischen Komplexen, deren Bestandteil sie sind; dies umfasst die Vielfalt innerhalb von Arten, zwischen Arten und von Ökosystemen."
Wissenschaftlich umfasst Biodiversität die Artenvielfalt, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, die Vielfalt der Ökosysteme (Landschaften) und natürlichen Prozesse, z.B. die Bereitstellung von sauberem Grundwasser oder die Humusbildung.
Diese Gesamtheit der Ökosysteme ist die Grundlage menschlicher Existenz. Alle Gesellschaften und Kulturen unseres Planeten sind auf die Nutzung einer möglichst vielfältigen Natur angewiesen. Sie liefert die so genannten Ökosystemdienstleistungen wie sauberes Wasser, fruchtbares Land, Sauerstoff zum Atmen, Nahrungsmittel, Grundstoffe für die Herstellung von Medikamenten sowie Rohstoffe für die Industrie und Vorbilder für technische Lösungen. Biologische Vielfalt leistet einen unverzichtbaren Beitrag für das Wohlergehen der Menschen und ihrer Lebensumwelt und deren Erhaltung.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Ökosysteme mit hoher Biodiversität eine deutlich höhere Stabilität aufweisen. Das zeigt sich deutlich an landwirtschaftlichen Monokulturen, die äußerst anfällig für Schädlinge und Krankheiten sind und nur mit hohem Aufwand und Pestizideinsatz aufrechterhalten werden können. Der zunehmende Schwund biologischer Vielfalt entzieht uns auf lange Sicht die Lebensgrundlage.
Quelle: Ne-FO Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung in Deutschland
Biodiversität ist durch ihre Komplexität schwer erfaßbar und zu erforschen, weil sie einen holistischen Ansatz verfolgt und quasi alles Leben auf der Erde umfaßt. Weltweit ist die biologische Vielfalt auf allen Ebenen stark gefährdet. Durch zahlreiche Faktoren wie z.B. Landnutzungsänderungen und Lebensraumzerstörung sind sowohl ganze Ökosysteme (z.B. Regenwälder oder Korallenriffe) als auch viele Arten (z.B. Pandas) stark bedroht. Um diesem Trend entgegenzuwirken, wurde 1992 in Rio de Janeiro auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und nachhaltige Entwicklung (UNCED) das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) beschlossen, ein internationles Umwelt-Vertragswerk. 192 Vertragsparteien, darunter Deutschland und die EU, sind bis 2010 diesem internationalen Naturschutzabkommen beigetreten.
Die CBD hat drei gleichrangige Ziele:
Die "2010-Ziele für die Erhaltung der Biodiversität" wurden ursprünglich von den EU-Staatschefs auf dem Gipfeltreffen der Europäischen Union im Juni 2001 in Göteborg mit der Absicht verabschiedet, den Rückgang der Biodiversität bis zum Jahr 2010 zu stoppen.
Im April 2002 verabschiedeten auch die Vertragsparteien der CBD das Ziel, bis zum Jahr 2010 die anhaltende Verlustrate an biologischer Vielfalt auf globaler, regionaler und nationaler Ebene als Beitrag zur Armutsbekämpfung und zum Wohle allen Lebens auf der Erde signifikant zu reduzieren.
Das 2010-Ziel wurde nicht erreicht!
In Deutschland gehören zu den Gründen: der hohe Flächenverbrauch und Lebensraumzerstörung sowie Landschaftszerschneidung, die Intensivierung der industriellen Landnutung bei gleichzeitiger Aufgabe traditioneller, extensiver Nutzungsformen in der Land- und Forstwirtschaft und Biodiversitätsverluste als Folge des Klimawandels.
Piechocki, R.; Stadler, J. und Korn, H. (2010): Das "2010-Ziel" - auch in Deutschland verfehlt?. Natur und Landschaft 85 (2010) Heft 7
Deutschland hat seit 2008 eine eigene Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Darin soll unter anderem die Fragen der biologischen Vielfalt stärker in übergreifende politische Maßnahmen, Strategien und Programme eingebunden werden. Auch einige Bundesländer haben eigene Biodiversitätsstrategien entwickelt, mit denen der Artenverlust gestoppt werden soll.
Aus einer Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums zum Umweltbewusstsein in Deutschland aus dem Jahr 2008 geht hervor, dass 46% der Deutschen glauben: Artensterben ist in Deutschland kein großes Problem.
Was sie nicht wissen: Es sind nicht nur Korallenriffe und Tropenwälder bedroht. In Deutschland stehen 70% der Lebensräume auf der Roten Liste als gefährdet. Dazu gehören artenreiche Kalkmagerrasen, nährstoffarme Fließgewässer und Streuobstwiesen. Das bedeutet auch für die dort lebenden und spezialisierten Arten eine große Gefährdung. So sind z.B. 10 der 13 bei uns heimischen Reptilienarten gefährdet. (Bundesamt für Naturschutz: Daten zur Natur 2008)
Die Diskrepanz zwischen Einschätzung und Realität zeigt: Es besteht ein ernst zu nehmendes gesellschaftliches Bewusstseinsproblem. Und wo Bewusstsein fehlt, ist mit der notwendigen Einsicht zu Handeln nicht zu rechnen. Hier liegt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit!